08/08/2024 0 Kommentare
Tersteegen und Fliedner
Tersteegen und Fliedner
# Gemeindearbeit
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Tersteegen und Fliedner
Gemeinsamkeit: „Gemeinschaft der Heiligen“ ein „Geistliches Wort“ von Pfarrer Jonas Marquard
In diesem Frühjahr und Sommer entscheidet sich, ob die Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth und die Ev. Tersteegen-Kirchengemeinde Düsseldorf ihre räumliche Nachbarschaft und geistliche Geschwisterlichkeit durch eine Fusion zu einer noch stärkeren Verbindung machen werden. Diese Verbindung hätte Zukunft. Aber sie hätte auch eine Vergangenheit. Beide Gemeinden sind – die eine realgeschichtlich, die andere ideell – durch bemerkenswerte evangelische Gestalten geprägt, die am Niederrhein wirkten, aber tatsächlich weit und wirkungsvoll in die christliche Welt ausstrahlten: Theodor Fliedner (1800–1864) mit seinen Frauen Friederike (1800– 1842) und Caroline (1811–1892) auf der einen und Gerhard Tersteegen (1697–1769) auf der anderen Seite.
Tersteegens Erbe ist still, aber maßgeblich durch mehr als zwei Jahrhunderte eine Kraft der Glaubenserweckung geblieben: Wie der pietistische Bandwirker seine seelsorglichen Freundschaften, sein konzentriertes Gebetsleben, seine tiefe und zugleich ganz nüchterne Versenkung in Gottes heilige Gegenwart pflegte, das hat zahllosen Menschen zu einer innigen und ebenso ernsten wie lebensnahen Frömmigkeit geholfen. Die unermüdliche Hingabe der Fliedners an den praktischen Dienst der Nächstenliebe wiederum hat durch die Beteiligung von Frauen einen epochalen gesellschaftlichen Wandel geschaffen, der der Kirche ein soziales Profil, eine aktive Rolle in der Welt und eine ethische Verantwortung für die menschlichen Lebensbedingungen gab, die sie im Protestantismus lange nicht mehr besaß. Tersteegen und Fliedner – Symbolgestalten des kontemplativen und aktiven Christentums – waren einander in manchem auch historisch nah: Beide schöpften sie aus reformiertem Geist, beide vertraten sie eine pietistische Unmittelbarkeit des persönlichen Lebens- und Glaubenszeugnisses; beide wären uns in ihrer Schonungslosigkeit, in ihrer Selbstverleugnung, in ihrem Fokus auf Gottes Willen, dem meine Bedürfnisse folgen sollen, streng vorgekommen. … So, dass unsere Zeit sie jeweils unter die sonderbaren Heiligen einer vergangenen Zeit einordnen möchte, deren Formen und Inhalte in unsere Welt kaum übertragbar scheinen.
Doch gerade an dieser Stelle haben die beiden exotisch anmutenden Radikalen der Gottes- und der Menschenliebe, der Mystik und der Diakonie eine weitere Gemeinsamkeit, die uns herausfordert. Beide – stock-calvinistisch, wie sie ursprünglich waren – haben eine seltsame Menschheit entdeckt, die ihnen eigentlich durch ihre theologische Tradition unzugänglich war: die Heiligen. Tersteegens völlig grenzenlose Brüderlichkeit im Geist gegenüber allen, die ihm als Jüngerinnen und Freunde Christi begegneten, hat ein einzigartiges Zeugnis der ökumenischen Familie der Kinder Gottes geschaffen:
Die „Auserlesene(n) Lebensbeschreibungen heiliger Seelen“, in denen er seit 1733 verschiedene Lebens- und Glaubenswege von altkirchlichen, mittelalterlichen, nachreformatorischen und zum Teil sogar noch zeitgenössischen katholischen (und anderen) Zeugen Christi übersetzte, bearbeitete und verbreitete, ist wie ein Blick auf eine Christenheit, in der es überall den Reichtum der Unterschiede und nirgends die Armut der Abgrenzungen gibt. Tersteegens Herz waren alle nahe, die Jesus Christus nahekamen und -blieben.
Theodor Fliedner war dagegen deutlich enger in seinem „Kurze(n) evangelischen Märtyrerbuch für alle Tages des Jahres“ (1864), in dem er viele Berichte von Tat- und Blutzeugen verband, die bis zum 16. Jahrhundert auch alle großen Heiligen der westlichen und der östlichen Christenheit umfassen, aber danach nur noch protestantische Schicksale und Missionen würdigen. Immerhin ist der Grundansatz bei Tersteegen und Fliedner ein gemeinsamer, der uns gerade jetzt helfen wird: die Überzeugung, dass andere auf ihre je eigene Weise ihre Verbundenheit mit dem Herrn leben und ausdrücken und dass sie uns darin bei aller Verschiedenheit doch alle angehen, alle bestärken, begleiten und begeistern können. Diese andächtige, neugierige, herzliche Offenheit für die anderen Christen (und „Christentümer“), die zeitlich, räumlich, praktisch nicht mit uns übereinstimmen mögen und an denen wir uns doch orientieren können, ist nicht nur etwas, das ich unserer evangelischen Kirche im Sinne Tersteegens zutiefst wünsche. Sie ist etwas, das das Miteinander zwischen den Kaiserswerther- und den Tersteegen-Leuten eröffnen, fruchtbar machen und zum Segen werden lassen wird.
Diese Offenheit für das Miteinander ist das, was wir im Glaubensbekenntnis jeden Sonntag die „Gemeinschaft der Heiligen“ nennen. Tersteegen sagt von allen Heiligen: „In allen leuchtet Christus und seine Gnade hervor; Glaube, Liebe, Hoffnung ist allen gemein.“ Dieses Vertrauen sollte die Grundlage unserer Fusion sein. Ihre Vergangenheit, ihre Zukunft.
Text Pfarrer Jonas Marquardt (Senfkorn)
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